Über 2.500 Reparaturen hat die Paralympics-Werkstatt im Dorf durchgeführt. Vielen wurde in den zweieinhalb Wochen, in denen nun Athletinnen und Athleten in Paris sind, die Teilnahme an den Wettkämpfen überhaupt erst ermöglicht – und das alltägliche Leben erleichtert.
Oft muss es sehr schnell gehen. Vor den Augen des chinesischen Athleten brach eine Welt zusammen. Drei Jahre lang hatte er sich akribisch auf seinen Badminton-Wettkampf von Paris vorbereitet – beim Abschlusstraining brach das Gestell seines Rollstuhls an zwei Stellen. Die Paralympics-Teilnahme schien für ihn auf einmal ganz weit weg.
Doch an allen Wettkampfstätten bei den Spielen, an denen Sportmaterial gebraucht wird, gibt es kleine Werkstätten. Die Techniker konnten vor Ort wenig machen, den Chinesen aber doch beruhigen. Sie nahmen den Rollstuhl mit in die Werkstatt im paralympischen Dorf, wo sie sich an die Schweißarbeiten machten. Und voilà! Am nächsten Tag war der Athlet rechtzeitig zu seinem ersten Match wieder auf dem Platz.
“Es ist ein wahnsinnig gutes Gefühl zu helfen”, sagt Julian Napp, der die Werkstatt leitet im Gespräch mit der Sportschau. “Die Paralympics-Teilnahme der Athleten soll auf keinen Fall daran scheitern, dass ein Rollstuhl kaputt ist.” Abends verfolgen Napp und seine Kolleginnen und Kollegen regelmäßig vor dem Fernseher, wie sich “ihre” Sportler dann im Wettkampf schlagen.
Aus einem Leihrollstuhl wird ein Geschenk
Eigentlich handelt es sich um eine Reparatur-Werkstatt. Die Betonung liegt auf Reparatur, wie Peter Franzel vom deutschen Orthopädietechnik-Unternehmen Otto Bock erklärt. Er trägt die organisatorische Verantwortung. Manchmal lässt sich das Material aber auch einfach nicht mehr aufarbeiten.
Ein Athlet aus Mali erhält zunächst einen Leihrollstuhl – solange an seinem Gefährt gearbeitet wird. Sein schwerer verchromter Metallrollstuhl bräuchte allerdings eine Generalüberholung. “Da müsste wirklich alles ausgetauscht werden. Wenn er wiederkommt, werden wir ihm sagen, dass er unseren Rollstuhl behalten darf”, kündigt Franzel an, der erklärt, dass die Reparaturen an Rollstühlen rund 60 Prozent des Arbeitsaufkommens ausmachen.
Dieser Rollstuhl eines Athleten aus Mali hat seine besten Tage lange hinter sich.
60 Modelle stehen grundsätzlich als “Leihfahrzeuge” zur Verfügung. An diesem Nachmittag sind 50 ausgeliehen. Und der eine oder andere wird nach den Paralympics auch nicht nach Deutschland zurückkehren.
23 Tonnen Material stehen in der Werkstatt bereit
Der Service kostet die Athletinnen und Athleten keinen Cent. Auch nicht, wenn an den Prothesen gearbeitet wird, wenn Ersatzteile oder ganze Prothesenschäfte am 3D-Drucker entstehen oder sonstiges Sport-Equipment gebastelt wird. Die Öffnungszeiten sind täglich von 8 bis 23 Uhr.
Am Empfangstresen werden die Daten der “Auftraggeber” aufgenommen. Dann wird geschaut, wer das Problem am besten lösen kann. Das Service-Team besteht aus 164 Personen, darunter 130 Techniker und Technikerinnen, aus 41 Nationen. Insgesamt können sie 35 verschiedene Sprachen, was besonders bei komplexeren Themen wie Prothesen, die am Stumpf Ärger und Schmerzen verursachen, entscheidend sein kann.
Die Anpassung eines Prothesenschafts erfordert sehr genaue Arbeit.
Viele Fälle lassen sich dann schnell bearbeiten. 23 Tonnen Material standen zu Beginn der Spiele in der Werkstatt zur Verfügung, insgesamt 1.500 verschiedene Artikel.
Zum Beispiel Prothesen-Füße, die Franzel zeigt. Früher waren die aus massivem Material gefertigt, heute sind sie viel weicher – und haben eine Besonderheit: einen Abstand zwischen dem großen Zeh und dem nächsten. “Jeder Mensch soll das Recht haben, Flip-Flops zu tragen”, betont Franzel.
Manchmal ist Erfindergeist gefragt
Wenn die Arbeiten keinen großen Umfang haben, können die Athletinnen und Athleten im Wartebereich Platz nehmen. Dort stehen große Tische. An dem einen spielt während des Sportschau-Besuchs in der Werkstatt eine Gruppe aus Peru mit hörbar großer Freude die eine oder andere Partie Uno. An einem anderen Tisch geht es ruhig zu – das Bauen des Holzturmes bei Jenga erfordert volle Konzentration.
Das gilt auch für viele andere Arbeiten. Egal, ob geschweißt, poliert oder geschliffen wird. Genäht, gedruckt oder zusammengeschraubt. Manchmal gilt es, richtiggehend erfinderisch zu werden.
Es ist wirklich der Wahnsinn. Wer keine Hilfsmittel braucht, weiß gar nicht, wie wichtig das ist.
Ein Athlet wurde vorstellig, weil er ein Alltagsproblem hat und fragte, ob man ihm auch dabei helfen könnte. Ohne Hände war es ihm nur mit sehr großer Mühe möglich, seinen Reisekoffer zu ziehen. Das Technikerteam scannte deshalb seinen Armstumpf, druckte eine Manschette und ein passendes Anschlussstück. Dieses wurde am Koffer befestigt und daran ließ sich die Manschette einhaken.
Einer Radrennfahrerin machte der Stoßdämpfer ihres Rollstuhls Sorgen, er hing zu tief. Dafür gab es allerdings kein Ersatzteil. Also schnappten sich zwei Techniker kurzerhand einen Absperrzaun, schnitten dort eine Metallstrebe heraus, die zum passenden Ersatzteil wurde – und retteten auch ihr die Paralympics-Teilnahme.
Die ganze “paralympische Familie” wird betreut
In die Werkstatt dürfen alle kommen, die zur paralympischen Familie gezählt werden – zum Beispiel auch ehemalige Sportlerinnen und Sportler, die nun andere Aufgaben in ihrer Delegation übernommen haben. Und auch besondere Besucher werden nicht abgewiesen. Wintersportlerin Anna-Lena Forster, die schon viermal Paralympics-Gold gewonnen hat, schaut mit Bruder und Schwester vorbei, um denen mal alles zu zeigen.
Para-Athletin Anna-Lena Forster bekommt von Techniker Julian Napp ihre Gehhilfen überreicht.
Mit ihrem Rollstuhl ist alles in Ordnung. Aber ihre Gehhilfen klappern. “Ich dachte eigentlich, ich bräuchte neue Gummipropfen für die Enden.” Aber Techniker Napp hat ein anderes Problem erkannt. Eine Schraube sitzt nicht mehr fest. Er bohrt ein neues Loch ins Metall und setzt die Schraube dort hinein. Forster stößt zum Test mit beiden Krücken auf das Trittbrett ihres Rollstuhls – ohne dass es klappert. Zufrieden stellt sie fest: “Top-Arbeit.”