Um Roland Virkus wirklich gerecht zu beurteilen, muss man sich nochmal an seinen Start erinnern: Er war als Gladbach-Sportdirektor maximal vierte Wahl. Jetzt scheint er sich freigeschwommen zu haben – am Samstag im Heimspiel gegen den VfB Stuttgart (15.30 Uhr/Live-Ticker und Radio-Livereportage bei sportschau.de) kann sich der VfL im oberen Tabellenbereich festsetzen.
Der Weg war aber zäh. Als Borussia Mönchengladbach am 15. Februar 2022 den Nachfolger von Max Eberl bekannt gab, hatte das durchaus Ähnlichkeit mit der Inthronisierung von Rudi Völler im Juli 2002 als Bundestrainer oder auch der Trainer-Berufung von Ralf Rangnick im September 2004 auf Schalke. Völler saß am Tisch einer Trainerfindungs-Task-Force, und plötzlich zeigten alle auf ihn. Auf Schalke hatte Manager-Legende Rudi Assauer selbst zugegeben, dass er “auf den Rangnick echt nicht gekommen wäre”. Auch bei der Vorstellung fremdelte Assauer noch mit dem heute als Taktik-Genie anerkannten Fußballprofessor und nannte ihn “Rolf”.
Absagen von Korell, Spycher und Schröder
Ein ganz so gravierender Fauxpas war Rolf Königs in Gladbach zwar nicht passiert, doch der inzwischen durch Rainer Bonhof abgelöste Präsident selbst wäre auf Virkus auch nicht gekommen. Das hat er auch ganz offen zugegeben, Virkus war nicht die erste Wahl in Gladbach gewesen, und auch nicht die zweite und dritte.
Der VfL hatte sich zuvor Absagen von Kaderplaner Steffen Korell geholt, der nicht an die vorderste Front wollte. Auch Christoph Spycher aus Bern und Rouven Schröder wurden damals gefragt, standen aber auch nicht zur Verfügung. Dann kam man schließlich irgendwann auf Virkus, der bereits 32 Jahre treu für die Borussia gedient hatte – zuletzt als Chef der Nachwuchsabteilung.
Kreis- und Bezirksliga für Odenkirchen 05/07
Die ganz große fußballerische Vergangenheit konnte Virkus nicht vorweisen, was manche auch als Makel oder Beweis für eine vermeintliche Überforderung mit diesem Job anführten: Er kommt aus dem Braunkohlegebiet Jüchen und hat später in der Bezirksliga für den Gladbacher Ortsteilverein Odenkirchen 05/07 gespielt, das aber durchaus ordentlich.
Seinen Job machte er von Beginn an auch ordentlich. Er glänzte nicht mit fußball-philosophischen Reden, aber mit klaren Ansagen, die jeder Fan versteht. Und durch extremen Fleiß. Aber Virkus hatte zunächst nicht so das rechte Glück mit seinen Personalentscheidungen. Genau genommen gingen zwei seiner wichtigsten daneben. Für acht Millionen Euro kam Nathan Ngoumou als sogenannter “Königstransfer” aus Toulouse nach Mönchengladbach. Ngoumou war auch echt schnell, hatte aber leider wenig Zug zum Tor und wartet bis heute auf seinen Durchbruch.
Farke nach einem Jahr schon wieder weg
Auch Virkus’ Wunschtrainer nach der Trennung von Adi Hütter floppte so, dass ihn Gladbach nach nur einem Jahr trotz eines Dreijahresvertrages auch wieder vor die Tür setzte: Daniel Farke hatte nach Ansicht der Borussen taktisch und in der Trainingslehre zu große Defizite, um die erwünschte Langzeitlösung zu sein, und auswechseln konnte er auch nicht.
Roland Virkus (l.) versprach sich viel von Daniel Farke – doch die Beziehung hielt nicht lange
Doch danach ging es aufwärts – mit Abstrichen. Die Verpflichtungen von Robin Hack für nur eine Millionen Euro von Zweitliga-Absteiger Bielefeld (die Farke übrigens verhindern wollte) und von Franck Honorat aus Brest wurden zu absoluten Glücksgriffen. Auch die Leihgeschäfte mit Max Wöber (Leeds) und Jordan Siebatcheu (Union Berlin) waren gute Entscheidungen, auch wenn sich Siebatcheu nicht nachhaltig empfehlen konnte.
Schwache Führungsspieler und der Fast-Abstieg
Dennoch fehlte es bei den Gladbachern weiter an Grundsätzlichem: Der Klub hatte so schwache Führungsspieler, dass in der kompletten Vorsaison nie zwei Spiele in Serie gewonnen und eine Unzahl von Punkten nach Führungen verschenkt wurden. Am Ende stand trotz Hack und Honorat beinahe der Abstieg, nur ein einziger Punkt trennte die Elf vom Niederrhein vom Relegationsrang 16.
Doch daraus zog Virkus die richtigen Lehren. Jeder im Verein hält ihm bis heute zugute, dass er ein auf verschiedensten Ebenen großes Erbe angetreten hatte. Eberl hatte eine Ära beim VfL geprägt und viele grandiose Transferentscheidungen getroffen. Doch am Ende hinterließ er ein Schlachtfeld: auslaufende Verträge von Superstars wie Marcus Thuram oder Ramy Bensebaini, die dann ablösefrei gingen.
Das gleiche war Eberl zuvor schon mit Matthias Ginter passiert, und auch bei Denis Zakaria ging es nur noch um Schadensbegrenzung, weil Eberl auch diesen Vertrag nicht rechtzeitig verlängert oder den Verkauf des Spielers schlicht verschlafen hatte. Dies wurde der Sportschau später von mehreren Amtsträgern bestätigt.
Kleindienst, Stöger und Sander passen hervorragend
Deshalb fehlte Virkus lange Zeit das Geld für die dringend benötigten Transfers, um die Defizite aufzuarbeiten – doch er ließ sich nicht vom Weg abbringen. Er holte jetzt mit Tim Kleindienst aus Heidenheim den dringend benötigten Abschlussspieler und Fixpunkt in der Offensive, der die ganze Mannschaft mitreißt. Dazu kam mit Kevin Stöger aus Bochum ein abstiegskampferprobter Stratege, der es auch hasst, wenn sich die Kollegen hängen lassen.
Auch Philipp Sander aus Kiel passt in diese Struktur, er war Kapitän beim Bundesliga-Aufsteiger. Virkus sagte dazu zur Sportschau: “Es ging darum, unserem Kader mehr Widerstandsfähigkeit und Führungsstärke hinzuzufügen.Wenn ich sehe, wie die drei das bisher umsetzen, haben sie die Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern sogar übertroffen.”
Das gilt inzwischen auch für Virkus selbst, wie immer mehr Kritiker zugeben (müssen). Auch Rolf Königs findet die Entscheidung im Nachhinein wirklich sehr gelungen.